Das Europa der Luftfahrer
Die Harmonisierung und Integration der europäischen Flugsicherung als politische, organisatorische und operationelle Herausforderung.
Es war sicherlich eine der straffsten und informativsten Veranstaltungen des LPC in den letzten Jahren: die Frühjahrstagung 2004 bei Eurocontrol in Brüssel und Maastricht, bei der AEA, sowie beim “Shooting Star”, dem Newcomer “SN Brussels Airlines”. Ein Novum: Erstmals waren mit Alfred W. Hugentobler und Sepp Moser zwei profilierte Kollegen der Schweizer Aviatik-Journalisten (SAJ) mit uns an Bord: Europa kommt also auch auf Berichterstatter-Ebene endlich voran! Spontan erinnerten sich einige Kollegen an den ersten Besuch des LPC bei Eurocontrol, Anfang der 70er Jahre. Damals feierte man die Aktivitäten der damals noch kleinen Institution in rosaroter Euphorie. Rückschläge auf Grund nationalstaatlicher Eigenbröteleien drohten dann das zarte europäische Pflänzchen zu ersticken. Politische Vernunft und Zwänge eines boomenden Luftverkehrs erhielten es letztlich am Leben. Zuletzt waren wir 1994 bei Eurocontrol.
Wie sieht die Lage zehn Jahre später aus? Geschäftsführer Clemens Bollinger und insbesondere Klaus-Peter Ludeloff als erfahrener Eurocontrol-Mitstreiter in Brüssel konnten die kompetentesten Köpfe von Eurocontrol gewinnen, die Entwicklungen und Aufgaben der Behörde ins rechte Licht zu rücken. Ein paar Zahlen: Waren 1997 in Europa noch rund sieben Millionen Überflüge pro Jahr zu bewältigen, zählte man 2000 schon acht Millionen. Bereits 2010 wollen 11,9 Millionen Flugbewegungen kontrolliert sein und 2020 sogar 15,8 Millionen. Die durchschnittliche Verspätung in der Zivilluftfahrt soll dennoch (bei größtmöglicher Effizienz und Sicherheit) auch 2006 nicht eine Minute übersteigen.
“Ein Luftraum für Europa” - Der Weg ist geebnet
Die Harmonisierung und Integration der europäischen Flugsicherung ist eine politische, organisatorische und operationelle Herausforderung. Es gilt, so der Generaldirektor Eurocontrol, Victor M. Aguado, ein einheitliches Verkehrs-System sowohl für zivile als auch militärische Luftraumnutzer zu entwickeln. Denn am nur 10,785 Millionen Quadratkilometer großen Himmel über Europa geht es besonders komplex zu. Er wird von 70 Kontrollzentren überwacht. In ihnen arbeiten rund 16 000 Lotsen und koordinieren täglich bis zu 28 000 Flugbewegungen, die über 33 Mitglieds- und elf kooperierende Staten führen. Zu Spitzenverkehrszeiten nutzen bis zu 4000 Maschinen gleichzeitig die 600 Sektoren des Eurocontrol-Luftraums.
Der Luftverkehr in unserer Region gehört glücklicherweise zum sichersten der Welt. In den letzten zehn Jahren kam es hier pro Millionen Starts von im Westen produzierten Jets lediglich zu durchschnittlich 0,4 Totalverlusten, ähnlich wie in den USA. Weniger (0,2) waren nur über dem dünnbesiedelte Australien zu beklagen. Die meisten Katastrophen ereigneten sich im gleichen Zeitraum über Afrika (8,1) und Südamerika (3,4). Das Weltmittel lag im Jahr 2000 bei 1,11 Ganzabschreibungen. Erfreulicherweise sank diese Rate parallel zum Fortschritt bei der technischen und personellen Ausstattung des Luftverkehrs. Im vergangen Jahr zählte man im Schnitt weltweit nur noch 0,68 Totalschäden. “Sicherheit ist nicht gottgegeben”, sagte der langjährige Eurocontrol-„Operationschef“ Wolfgang Philipp, der im Mai in den Ruhestand tritt. Zu schrecklichen Unfällen wie in Mailand und bei Überlingen in den Jahren 2001 und 2002 kann es auch in Zukunft kommen. Die abschließenden Bewertungen aller Ursachen, die zu den jüngsten Unfällen geführt hatten, seien aus juristischen und personellen Gründen nicht vor Mai/Juni 2004 zu erwarten. Insgesamt sei das Sicherheitsmanagement europaweit noch nicht im gewünschten Maße vereinheitlicht.
Obwohl inzwischen alle wesentlichen Fakts zu dem Vorgang Charleroi/Ryanair öffentlich diskutiert worden sind, kann man auf den endgültigen Bericht gespannt sein, noch mehr allerdings auf einen geplanten Leitfaden für die Gewährung von Anschubsbeihilfen u. ä..
Dafür scheint der Weg zur maßgebenden EU-Initiative “Ein Luftraum für Europa” nach vier Jahren zäher Verhandlungen geebnet zu sein. Die Vereinbarungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Council sollen, so Torsten Klimke von der EU-Kommission, Ende April veröffentlicht werden und in Kraft treten. Zu den Kernforderungen gehören: Allgemeinverbindliche Standards bei Geräten, Verfahren und Personal. Überwachungsinstanzen, Hersteller, Fluggesellschaften und -Lotsen sind gleichermaßen in der Pflicht.
Erfolgsgeschichte SN Brussels Auf der letzten Arbeitsveranstaltung am ersten Tag hörten die LPC-Kollegen eine in diesen Zeiten seltene Erfolgsgeschichte: Nach dem Marktaustritt der traditionsreichen belgischen Sabena scheint die Nachfolge-Airline “SN Brussels Airlines” (großzügiger Flugplätzesponsor für LPC-Kollegen aus München, Berlin und Hamburg, die Frankfurter Tickets kamen von der Lufthansa!) wie Phönix aus der Asche zu steigen. Marketing-Chef Philip Saunders: Zwei Jahre nach der Stunde Null beförderte das Unternehmen mit 38 Maschinen 3,27 Millionen Passagiere, betreibt Codesharing mit 17 Airlines, bietet Flüge zu 54 europäischen, 14 afrikanischen Zielen an und – in Partnerschaft mit American Airlines – Destinationen in den USA. “SN Brussels Airlines” beschäftigt inzwischen 1950 Leute und machte Gewinne in drei aufeinanderfolgenden Quartalen in einem der schlimmsten Geschäftsjahre der Luftfahrtgeschichte.
Nach einem Tag mit so vielen geballten Informationen möbelte der kulinarische Ausflug zum “Les Petits Oignons” in der Altstadt Brüssels die erschlafften Lebensgeister schnell wieder auf. Auch wenn das für Belgier nicht ungewöhnliche Kirschbier zum Aperitif manchem nicht so recht die Kehle hinunterfließen wollte, locker und fröhlich ging beim rustikalen, landestypischen Menü ein anstrengender Tag zuende.
Verkehrsfluss-Management zum Anfassen
Zu der für den LPC völlig unüblich christlichen Zeit von 9.20 Uhr startete man um so ausgeschlafener in die nächste, wohlpräparierte Vortragsrunde zur Rolle der “Central Flow Management Unit” (CFMU). Alain Fournié und Kenneth Thomas definierten die jetzigen Aufgaben der CFMU und welche Rolle sie in der Zukunft spielen soll. An jährlich rund acht Millionen Flugbewegungen sind 180 Trunk-Gesellschaften plus zahlreiche kleinere Luftverkehrsbetreiber beteiligt. Nur mit einem vereinfachten Verkehrsfluss-Management ist das Netzwerk über den europäischen Staaten mit seinen 560 Airports auch zukünftig zu ordnen.
Beim anschließenden Besuch bei der Association of European Airlines (AEA) ging es nicht alleine um die Vorstellung der Institution, die u. a. sowohl ihre Mitglieder über sie betreffende Vorgänge innerhalb der EU informiert als auch über weltweite Marktentwicklungen. AEA stellt auch strategische und politische Analysen zur Verfügung. So auch zu der Entscheidung der EU-Kommission im Fall Charleroi/Ryanair und deren Auswirkungen. Wie Eckard Seebohm, Chef Flughafenpolitik, Generaldirektor Transport und Energie der EU-Kommission, in seinem ausführlichen Vortrag am Vortag, begrüßte auch AEA Generalsekretär Ulrich Schulte-Strathaus die jüngste Entscheidung der KommissionVerfahren gegen andere Airlines bzw. Airports mit Beteiligung von “No Frills-Carriern” kommt, bleibt dahingestellt. Hinweise auf vergleichbare Praktiken gibt es reichlich, die für ein Verfahren notwendigen förmlichen Beschwerden allerdings noch nicht. Im übrigen hat AEA nichts gegen die Aktivitäten von “Low-Fare-Carriern” einzuwenden (auch wenn sie einem eigenen Dachverband angehören), solange sie sich an die verbindlichen Auflagen, besonders im Sicherheitsbereich halten.
Es hätte etwas gefehlt, wenn der LPC kein praxisbezogenen Thema im Angebot gehabt hätte. So ging es am Schluss der Tagung zum Maastrichter Kontrollzentrum für den oberen Luftraum (UAC) – einem wichtigen Baustein im Konzept “Single European Sky”. Karl-Heinz Kloos, frischgebackener Direktor der UAC Maastricht, erklärte die Geschichte und Funktion des Vier-Staatenl-Kontollzentrums, einschließlich aller relevanten Kapazitäts- und Finanzdaten. Seine Wünsche für den “Single European Sky” in Maastricht: Die Verkehrsregulierung muss noch effektiver und kostensparender werden, die Management-Absprachen zwischen den vier Maastricht-Staaten sind zu verfeinern, die Kooperation mit den benachbarten Luftverkehrs-Dienstleistern und die zivil-militärische Zusammenarbeit ist zu verbessern. Im Fluge verging die Besuchszeit im Kontrollraum der Lotsen, die gerne ihre Arbeit an nicht aktuell für die Luftüberwachung geschalteten Bildschirmen demonstrierten. Der Ausflug nach Maastricht beschloss eine für die 31 Teilnehmer tolle Tagung.
Klaus Wittkamp
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