Mehr Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in einer boomenden Branche, nur wenige Städte können eine solch positive Bilanz verkünden. Hamburg kann es. Airbus Deutschland, Lufthansa Technik und Hamburg Airport und fast 350 Zulieferer katapultieren die norddeutsche Region zum drittgrößten Luftfahrt-Standort in der Welt, neben Seattle und Toulouse. Grund genug, dass der Luftfahrt-Presse-Club (LPC) die Hansestadt nach sieben Jahren für die Jahrestagung 2004 erneut ausgewählt hatte.
Nach kurzer Begrüßung durch den Präsidenten des LPC, Peter Pletschacher, ging es zur Sache. Wenn über die Hamburger Industrie-Kompetenz im Bereich der Luftfahrt gesprochen wird, führt kein Weg an der Lufthansa Technik AG (LHT) vorbei”, so August Wilhelm Henningsen, Vorsitzender des Vorstands der Lufthansa Technik AG. Vier Jahrzehnte unmittelbare Erfahrung aus dem Flugbetrieb der Lufthansa und aus dem Technikressort gehören zum Startkapital, das LHT bei Gründung als eigenständigen Ableger der Lufthansagruppe Ende 1994 mit auf den Weg bekam. Diese Erfahrungen machte das Unternehmen innerhalb der Branche zu einem der weltweit führenden Dienstleister für die vier großen Kernbereiche Wartung, Überholung, Fluggeräteinstandhaltung und Triebwerke.
Das Geschäft mit Kunden außerhalb des LH-Konzerns erweist sich zunehmend als Wachstumsmotor. Die Leistungen der Ingenieure und Facharbeiter von LHT nehmen inzwischen rund 430 Kunden, an 60 Stationen in Anspruch. 24 000 Mitarbeiter sorgen für einen Umsatz von vier Milliarden Euro. Um das hohe Ansehen und den umkämpften Markt nicht zu verlieren, entwickelte LHT eine eigene, beinharte Strategie. Henningsen: “Wir müssen dorthin, wo unsere Kunden sind”. Konsequent unterhält LHT an jedem größeren Flughafen in Deutschland und weltweit an 50 weiteren Standorten, Stationen für Checks bis zur Stufe C. Zum Service gehört die Bereitstellung von besonders qualifiziertem Personal (Flying Doctors): Technik rund um die Uhr – “2007 steht der Airbus A380 auf dem Hof”. Die “Königsdisziplin” der Dienstleistungen, die Instandhaltung durch Überholung (IL- und D-Check), erledigen Spezialisten sowohl in Hamburg als auch in den großen Überholungszentren der LHT in China, auf Irland, den Philippinen und in Ungarn.
Besonders kniffelig sind Reparaturen an Triebwerken, wovon sich die LPC-Mitglieder auf einer “Guided Tour” überzeugen konnten. In diesem Teilbereich der LHT erwirtschaftete der Standort Hamburg mit rund 2000 Mitarbeitern, an jährlich mehr als 500 Triebwerken, über ein Drittel seines Jahresumsatzes. “Personelle Kompetenz und technische Spitzenausrüstung haben” – so Henningsen – “Lufthansa Technik zum weltweite bedeutendsten, unabhängigen Instandhalter von Triebwerken ziviler Flugzeuge gemacht.” Der Triebwerks-Shop auf der LH-Basis in Hamburg ist der größte seiner Art außerhalb der USA.
Profitabel sind Ideen und Innovationen, die Passagierwünsche befrieden. Sie gilt es – so Bernhard Conrad, Leiter Entwicklungsbetrieb Innovation Engineering des Know-how- und Entwicklungszentrum Hamburg – möglichst umgehend auf den Markt zu bringen. Da sie schnell veralten, sind sie durch ebenso pfiffige Novitäten ebenso schnell zu ersetzen. Was heute noch ausschließlich für die First Class vorbehalten ist, ist möglicherweise morgen schon Standard in der Touristenklasse”.
Spannend wurde es am Nachmittag als Hamburgs Bürgermeister, Ole von Beust vor den LPC-Mitgliedern zur Startbahnverlängerung bei Airbus Deutschland in Finkenwerder Stellung nahm. Wie der 1. Bürgermeister betonte, verliefen die Gespräche mit den betroffenen Grundstückeigentümern in einer sachlichen Atmosphäre. Eine gütliche Einigung sei zu erhoffen aber auch notwendig, damit die Produktion des neuen Airbus-Flaggschiff A380 in Hamburg planmäßig verlaufen kann. Scheitert hingegen die vorgesehene Verlängerung der Start- und Landebahn, ist dies – so von Beust – “ein schwerer Rückschlag und eine Blamage für den Industriestandort Deutschland.” Auch ist es für von Beust durchaus vorstellbar, dass Airbus – bei einem Scheitern der Ausbaupläne – ganze Arbeitsabläufe aus Hamburg abziehe und nach Toulouse verlagere. “Das wird nicht sofort passieren, aber sicherlich längerfristig”.
Gibt es einen Strukturwandel im europäischen Luftverkehr? Nach einer von LPC-Mitglied Georg Sahnen geleiteten Podiumsdiskussion mit Jaan Albrecht, CEO der Star Alliance und Dr. Joachim Klein Mitglied des Vorstands der Eurowings AG und Geschäftsführer der germanwings GmbH war klar, dass inzwischen eine zunehmende Aufgabenteilung im Luftverkehr zwischen Allianzen und Low Cost Carriern stattzufinden. Carrier – wie Lufthansa, innerhalb der Star Alliance – betreiben mit Partnern gemeinsam ein weltweites Langstreckennetz. Sie versuchen auf kürzestem Weg Kunden zu marktgerechten Preisen, so schnell und angenehm als möglich, durchgehend vom Start zu einem möglichst x-beliebigen Ziel in der Welt zu transportieren. Low Cost-Carrier befördern dagegen ihre Kunden in Punkt zu Punkt-Diensten auf Kurz- und kurzen Mittelstrecken. Sie verdienen an einem hohen Passagierumschlag, minimalen Boden- und Umlaufzeiten und eingeschränkten Dienstleistungen – getreu dem Motto: Nur in der Luft verdient ein Flugzeug Geld.
Genug der geballten Information: Nach einem Stopover im im freundlichen Hamburger Airport Hotel, freuten sich die LPCler auf ihren traditionellen Clubabend – wieder einmal ungewöhnlich – auf dem Top Deck des Terminal 4 des Gastgebers Hamburg Airport. Doch zuerst galt es das fast fertige neue Terminal des Flughafens zu besichtigen, vorgestellt durch Werner Hauschild, Vorsitzender der Geschäftsführung und Michael Eggenschwiler, dem Geschäftsführer des Airports. Auch wenn die neue Halle noch fast leer steht, sie ist imponierend und soll dem aus allen Nähten platzenden, Flughafen endlich eine optimierte Passagier-Abfertigung bescheren.
Gut gelaunt ging es am nächsten Morgen nach Finkenwerder zu Airbus Deutschland. Herzlich war die Begrüßung durch Gerhard Puttfarcken, Chairman Board of Management Airbus Deutschland, der nochmals die Bedeutung von Airbus Industrie als Flugzeughersteller und die des Standorts Hamburg, als Teil eines “einzigartigen industriellen Konzepts auf der Basis von Kompetenzzentren”, mit etwa 50 000 Mitarbeitern hervorhob.
Hauptthema war natürlich der Airbus A380, dessen Zusammenbau und Ausrüstung Hamburg noch weitere Luftfahrtkompetenz, rund 1750 neue Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bescheren soll. Eine Herausforderung, die für den Standort von Airbus Deutschland in Finkenwerder “kaum ein Problem sein sollte”, so A380 NatCo Koordinator Karl-Heinz Mühlnickel. “Hier will man expandieren”, dafür sprechen die bisher investierten 162 Millionen Euro. Voraussetzung: Das letzte Infrastrukturhindernis in Finkenwerder wird beseitigt – die notwendige Startbahnverlängerung um knappe 600 Meter.
Nochmals beschworen Staatsrat Gunther Bonz, Luftfahrt-Koordinator der Freien Stadt Hamburg sowie Karl-Heinz Mühlnickel Politik und alle anderen zuständigen Stellen, endlich die investionsfeindlichen Strukturprobleme im deutschen Recht zu beseitigen, die den Industriestandort Deutschland gefährden. Mühlnickel: “Es kann doch nicht angehen, dass für ein 150-Millionen-Objekt von sechs Monaten Bauzeit, mehr als acht Jahre Planung mit satten 40 Millionen Kosten einkalkuliert werden müssen.” In jedem Fall: Die Endmontage-Standorte für den Giganten der Lüfte in Toulouse und Hamburg sind auf ihre Aufgaben gut vorbereitet, wie sich die LPC-Mitglieder vor Ort überzeugen konnten. Riesige Stationen, wie die Major Component Assembly Hall, die Lackier- und Kabinensystemhallen sind für das acht Stockwerke hohe Airbus-Flaggschiff A380 aufnahmebereit.
Eine interessante Entwicklung im mittelständischen Zulieferbereich konnte Klaus Ardey, Vorsitzender des Aufsichtsrates Cabin System Holding (CSH) vorstellen. CSH als will als brandneues “Systemhaus” in der Luftfahrtbranche großen Herstellern von Passagier-Fluggerät alles anbieten, was in Zusammenhang mit der Kabine – von der Cockpittüre bis zum hinteren Druckspant – steht. Bis zum Jahresende sollen sich der CSH etwa 50 und bis zum Ende 2005 rund 100 Unternehmen als Gesellschafter angeschlossen haben.
Überraschend groß ist der Forschungsanteil für den Airbus A380, den die DLR mit 16 ihren angeschlossenen Instituten seit 1995 in Deutschland und im europäischem Ausland bereitgestellt hat. Laut DLR Vorstand Joachim Szodruch beschäftigten sich 387 Wissenschaftler und Ingenieure unter anderem um Auftriebseffekte und Flugverhalten, um Probleme bei der Fahrwerkdynamik, der Luftströmung in der Kabine, sowie Besonderheiten in der Faserverbundtechnologie des A380. Dennoch wurde nach internen Berechnungen in Deutschland mit 30 Millionen Euro weniger Geld für diese speziellen Forschungsaufgaben als für den Bau von Fahrradwegen ausgegeben.
Nach einer außergewöhnlich vielseitigen, komprimierten und anspruchsvollen Arbeitstagung ging es ziemlich geschafft zum von Airbus Deutschland gesponserten Abendessen in die Gröniger Privatbrauerei. Angesagt waren u. a. Matjes, Kassler und hausgebrautem Bier vom Faß. Ein Swingout nach Maß, da der übliche festliche Höhepunkt, die Verleihung des Hugo-Junkers-Preis 2004 auf das nächste Jahr verschoben worden war: auf die 50-Jahr-Feier des LPC im Juni 2005 in München. Wie immer ging am folgenden Sonntagmorgen die Mitgliederversammlung ohne Probleme über die Bühne.
Klaus Wittkamp
Comentários